Nicht nur am Fließband ersetzen Roboter immer häufiger den Menschen. Auch Ingenieure, Ärzte oder Journalisten bekommen Konkurrenz. Der Vormarsch der Maschinen verändert die Arbeitswelt.
Auf den ersten Blick wirkt die kommende Generation des Verkehrsfliegers A320 von Airbus wie ein ganz normales Flugzeug. Doch hinter der Plastik-Verkleidung der hinteren Kabinen-Trennwand verbirgt sich eine Überraschung: ein seltsames Muster aus Dutzenden von ineinander verwobenen Streben.
Das Gebilde wirkt wie von einer Spinne gewebt, es könnte aber auch als Kulisse in einem Science-Fiction-Film über Aliens oder als Ausstellungsstück in einem Museum für sehr abstrakte Kunst dienen. Kein normaler Mensch würde vermuten, dass ein solches Gebilde ein Flugzeug formen kann. Und vermutlich käme auch kein menschlicher Ingenieur auf die Idee, ein tragendes Bauteil jemals derart komplex zu gestalten.
Genau das ist der Plan. Denn im neuen Flieger von Airbus wird tatsächlich kein Werk von Menschenhand getestet – sondern eine Konstruktion umgesetzt, die eine künstliche Intelligenz zuvor erdacht hat. Es ist, wenn man so will, der nächste Schritt hin zur Industrie 4.0.
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Eine Welt, in der Maschinen nicht mehr bloß als Roboter dabei helfen, Autoteile zu lackieren oder Maschinen zusammenzusetzen, die Fließbandarbeit zu beschleunigen oder komplexe Datenbankabfragen zu bewältigen. Sondern in der die Software in weit größerem Maße als bisher das Denken übernimmt – und damit auch das Ausdenken.
In den USA könnte 47 Prozent der Jobs wegfallen
Sollte die Vision Wirklichkeit werden, dann würde die neue industrielle Revolution nicht mehr nur in der Produktion Menschen durch Maschinen ersetzen, wie das bisher in vielen Branchen der Fall ist. Auch viele vermeintlich sichere Akademiker-Jobs bekämen plötzlich unerwartete Konkurrenz: durch einen Kollegen, der niemals ermüdet, niemals schläft und niemals schlechte Laune hat.
Allein in den USA könnten in Zukunft 47 Prozent der Jobs wegdigitalisiert werden, hat eine Studie der Oxford-Universität unlängst herausgefunden. Je stärker die Kosten für Industrieroboter sinken und je leistungsstärker die Algorithmen werden, desto stärker wird sich vermutlich auch die Revolution der Arbeitswelt vollziehen.
Für Carl Bass eröffnet diese Welt ganz neue Möglichkeiten. Bass ist Vorstandschef der Softwarefirma Autodesk. Sein Unternehmen ist mit der Entwicklung von sogenannter CAD-Designsoftware groß geworden, die Abkürzung steht für computerunterstütztes Konstruieren. Bislang half seine Software menschlichen Ingenieuren dabei, ihre Ideen in Produkte umzusetzen.
Nun gehen die Autodesk-Entwickler den entscheidenden Schritt weiter: Ihre Software entwirft die Produkte gleich selbst. „Das ist ein fundamentaler Wandel darin, wie wir komplexe Probleme lösen“, preist Bass sein Modell im Gespräch mit der „Welt“. „Anstatt die Dinge selbst zu entwerfen, spezifizieren wir einfach Anforderungen und Restriktionen. Die künstliche Intelligenz liefert uns dann eine Lösung, die sehr nah am absolut möglichen Optimum liegt.“
Die vom Computer entworfene Struktur spart Gewicht
Die Trennwand im neuen Airbus ist für ihn so ein Beispiel. Entworfen hat das wirre Spinnennetz aus Streben ein Computer. Gegenüber dem klassischen Entwurf von Menschenhand spare die vom Computer erdachte Variante über 40 Prozent Gewicht und sei in Struktur-Tests dennoch deutlich stärker und belastbarer. Zu schön, um wahr zu sein? Oder vielleicht besser: gar nicht schön, wenn das wahr werden sollte?
Fest steht, dass künftig wohl nicht nur Ingenieure werden lernen müssen, mit dem Algorithmus zusammen zu arbeiten. Mediziner, Programmierer, Journalisten, Banker oder Manager – viele Berufsgruppen, deren Angehörige sich aufgrund ihrer hohen Qualifizierung bislang als unersetzlich sehen, werden zumindest einen Teil ihrer Aufgaben künftig an Algorithmen abgeben, sagt Bob Lord, Chief Digital Officer von IBM, im Gespräch mit der „Welt“. „Überall dort, wo auf Basis komplexer Datensammlungen nach Mustern gesucht wird, können Algorithmen eventuell effizienter Probleme lösen als Menschen.“
Lord will keine Ängste schüren, vielleicht schiebt er auch deshalb nach, dass der Software-Fortschritt nicht bedeute, dass künftig die Computer allein entscheiden. Im Gegenteil: solche kognitiven Computer seien als „Assistenten des Menschen“ gedacht. Einen solchen Assistenten hat auch IBM im Programm, passenderweise hört er auf den Namen „Watson“, nach dem Gehilfen des berühmten Romandetektivs Sherlock Holmes. Watson soll nach dem Willen seiner Erfinder Ärzten dabei helfen, Therapie-Entscheidungen zu treffen.
„Watson“ kann Patientendaten mit Studien vergleichen
Dahinter steckt die Überlegung, dass kein Mensch alle Patientendaten und Studien zu einer Krankheit wie beispielsweise Brustkrebs überblicken kann. Watson dagegen hat nach Durchsicht aller dazu verfügbaren Daten und Studien all diese Erkenntnisse im Blick und kann nach Sichtung der digitalen Krankenakte eines Patienten individuelle Therapiekonzepte empfehlen und damit die Ärzte im Krankenhaus entlasten und unterstützen.
Die IBM-Algorithmen werden nicht nur in der Medizin eingesetzt. Sie kommen auch bei der Produktionsplanung in Fabriken des Landmaschinenherstellers John Deere, im Online-Marketing des Outdoorherstellers The North Face oder bei der Überwachung von Compliance-Regeln in der Finanzbranche zum Einsatz – alles Aufgaben, die bislang von hochqualifizierten Managern ausgeübt wurden. Dennoch will Bob Lord darin keine Gefahr für die klassischen Akademiker-Jobs sehen: „Dasselbe wurde auch bei der Einführung des Computers im Büro behauptet – ich glaube, dass die Technologie eher neue Jobs schaffen wird.“
Eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung Accenture zeigt: Bob Lord könnte mit seiner Prognose womöglich sogar recht haben. Mittelfristig sollte unsere Wirtschaft dank künstlicher Intelligenz deutlich schneller wachsen. Da die Software viele Routinetätigkeiten übernimmt, könnten sich die Menschen künftig auf Aufgaben mit einer höheren Wertschöpfung konzentrieren.
Akademische Routinejobs macht bald der Computer
Dennoch werden sich viele Jobs komplett wandeln. Wer aktuell – egal in welcher Branche – akademische Routinejobs erledigt, der muss mit dem Wertverlust seiner Fähigkeiten am Arbeitsmarkt rechnen. Oder sogar damit, dass eines Tages Algorithmen den kompletten akademisch gebildeten Mittelbau in Unternehmen ersetzen könnten. Die Arbeitswelt, wie wir sie heute kennen, wäre damit wohl Geschichte.
Betroffen sind auch Tätigkeiten, bei denen der Einsatz von künstlicher Intelligenz noch bis vor kurzem unmöglich schien. Der Flugzeugbau bei Airbus steht da durchaus stellvertretend für viele Branchen. Anstatt wie ein menschlicher Ingenieur Entwürfe zu zeichnen und im Modell zu bauen, probiert die eingesetzte Software Millionen möglicher Lösungen aus und tastet sich dabei an ein Optimum heran. Das Ergebnis ist so komplex, dass es nur mit einem Metallstaub-3D-Drucker umgesetzt werden kann. Airbus testet das fertige Bauteil mittlerweile in der Luft.
„Dutzende Firmen beschäftigen sich aktuell damit, wie sie diese Technologie einsetzen werden“, sagt Autodesk-Chef Carl Bass und zeigt weitere seltsam organisch wirkende Entwürfe des Algorithmus: Ein einfacher Wärmetauscher, der dank komplexer Leitungswindungen für das Kühlmittel im Inneren deutlich effizienter ist als menschliche Entwürfe. Oder ein Stuhl, der per künstlicher Intelligenz optimiert wurde und deutlich leichter und bequemer ist als der Ausgangsentwurf.
„Menschliche Ingenieure werden künftig neue Aufgaben bekommen. Sie müssen spezifizieren, welche Bauteile sie benötigen. Den eigentlichen Entwurf aber übernimmt die künstliche Intelligenz“, sagt Bass. Er ist überzeugt: „Die AI-Revolution hat bereits begonnen. Sie wird Hunderttausende neue Jobs schaffen – aber auch Millionen Jobs verändern oder obsolet machen.“
Künstliche Intelligenzen sind immer voll aufmerksam
Kein Arzt ist immer und für jeden Patienten gleich aufmerksam, kein Manager plant immer gleich sorgfältig, kein Ingenieur investiert auch in absolute Routine-Produkte den Hirnschmalz für dutzende Alternativ-Entwürfe. Die Algorithmen dagegen sind mit dem immer gleichen Willen zur Perfektion bei der Arbeit. Allein das ist bereits ein Argument für ihren Einsatz.
Die Autodesk-Ingenieurssoftware ist nur ein Indiz dafür, dass künstliche Intelligenz die nächste Revolution am Arbeitsmarkt auslösen könnte. „Die akademisch gebildete Mittelklasse steht vor einem Umbruch“, ist Bass überzeugt. „Nicht nur einfache, sondern auch hochqualifizierte Tätigkeiten könnten künftig von künstlicher Intelligenz übernommen werden.“
Darunter fallen nicht nur Ingenieurs-Aufgaben oder Managementjobs, sondern sogar kreative Tätigkeiten: Phillip Renger vom Stuttgarter Software-Spezialisten AX Semantics wirbt offensiv für einen Algorithmus, der künftig Journalisten und Übersetzer komplett ersetzen kann.
Journalistische Tätigkeiten werden wegfallen
„Fußball-Spielberichte, Wetterberichte oder Börsentexte können bereits jetzt komplett von unserer Software geschrieben werden“, erklärt Renger. AX Semantics hat sich darauf spezialisiert, eine multilinguale Autorensoftware zu schaffen. Das Programm schreibt alle Texte, die allein auf der Basis von Datenanalyse entstehen.
„Der Algorithmus schafft völlig neue Möglichkeiten für Online-Publisher. Er kann etwa individuelle Spielberichte für Anhänger unterschiedlicher Fußballmannschaften schreiben. Oder Produktbeschreibungen für Onlineshops formulieren, die individuell an den Kunden angepasst sind“, so Renger.
Für ihn liegen die Vorteile auf der Hand: die Software wird niemals müde, sie formuliert nie schlampig. Sie erlaubt sich keine Rechtschreibfehler – und ist auch beim tausendsten Dax-Börsenbericht genauso fokussiert und auf Perfektion bedacht wie beim ersten.
Ganz so weit will Bass noch nicht gehen, trotz der gewagten Flugzeug-Konstruktion seiner Software. Menschliche Kreativität könne der Computer dann doch noch nicht ersetzen, ist er überzeugt: „Entwürfe für komplett neue Produkte, bei denen noch keine Blaupause und kein Anforderungsprofil existiert, werden auch weiter von menschlichen Designern kommen.“ Vorerst.
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